Jean Dufresne und die Schachmeister

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Der Schachspieler und Schachautor Jean Dufresne

Der Schachspieler Jean Dufresne, gebprem 1829, gestorben 1893.
Jean Dufresne (1829–1893), Holzstich

Jean Dufresne war in Berlin als Redakteur für verschiedene Zeitungen tätig. Seine zunehmende Gehörlosigkeit zwang ihn, den Beruf aufzugeben. Er beschäftigte sich überwiegend mit Schach und Mathematik. 1852 spielte Dufresne gegen Anderssen die sogenannte Immergrüne Partie mit einer glänzenden Abschlusskombination. Nachdem Anderssen am 13. März 1879 verstorben war, würdigte Wilhelm Steinitz im Chess Player's Chronicle vom 1. Mai 1879 Anderssens Partie als "an Evergreen in the laurel crown of the departed chess hero", also als ein Evergreen im Lorbeerkranz des verstorbenen Schachhelden. Aus "Evergreen" wurde "Immergrün".

Im Juli 1878 teilte die in Berlin ansässige illustrierte Damen-Zeitung "Der Bazar" mit, dass auf mehrfachen Wunsch eine Rubrik für Schach- und Damenspiel-Aufgaben eingerichtet wird und dass mit der Redaktion "eine bewährte Kraft" betraut wurde. Der Berliner Schachmeister und Schachautor Jean Dufresne hatte damit zusätzlich auch die Betreuung dieser Schachspalte übernommen. Seit 1859 redigierte er bereits die Schachspalte in der von Ernst Keil in Leipzig herausgegebenen Zeitschrift Die Gartenlaube und die Schachspalte in dem von Eduard Hallberger in Stuttgart herausgegebenen Unterhaltungsblatt Ueber Land und Meer. Dufresne konnte eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit gut gebrauchen. Wegen seiner Beschäftigung bei den oben genannten Zeitschriften, legte er Wert darauf, dass seine zusätzliche Beschäftigung beim Bazar nicht bekannt wurde.

 

Werke von Jean Dufresne

Die von Dufresne verfassten Hauptwerke zum Schach sind:

Jean Dufresne veröffentlichte auch unter Pseudonym. Kürschner's Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1892 vermerkt auf Seite 201: "Dufresne, Jean (Ps. Dr. E. S. Freund), Journal., Litterat u. Red. Berlin, Alte Schönhauserstr. 43 u. 44 I (ebda 14/2 29)." Unter anderem werden dort folgende Werke kurz erwähnt:

1862 gab Jean Dufresne gemeinsam mit Adolf Anderssen das folgende Schachbuch heraus: Der Schachfreund. Lehrbuch des Schachspiels an praktischen Beispielen. Für Anfänger und Geübtere. Berlin: Verlag von Carl Heymann, 1862, VIII, 345 S. Weitere Bücher folgten, wie z. B.:

Die literarischen Werke von Jean Dufresne sind in Vergessenheit geraten.

1885 gab Dufresne unter dem Pseudonym „Dr. E. S. Freund“ ein umfangreiches Werk heraus. Der Titel lautet: Rätselschatz : Sammlung von Rätseln und Aufgaben. Reclams Universal-Bibliothek ; 2091/2095. 555 S. mit graphischen Darstellungen.

1888 veröffentlichte Dufresne unter dem Pseudonym "Dr. E. S. Freund" in der Zeitschrift Die Gartenlaube eine Damespiel-Aufgabe (Heft 24, S. 408.). Gleichzeitig erschien in dem von ihm selbst betreuten "Damespiel-Briefkasten" folgender Hinweis: "A. H. in Stettin. Einen empfehlenswerthen Leitfaden zur Erlernung der wichtigsten Arten des modernen Damespiels hat Jean Dufresne unter dem Titel Der Freund des Damespiels (Wien, A. Hartlebens Verlag) herausgegeben. Sie werden danach das Damespiel ganz gut erlernen können, wenn Sie zugleich den Grundsatz im Auge behalten, daß gute Spielkenntnisse nur durch Übung erlangt werden."

Bernhard Schmitz vermerkt in seiner Encyclopädie des philologischen Studiums der neueren Sprachen ...(2. verb. Aufl., 1. Teil. Leipzig, E. A. Koch's Verlagsbuchhandlung J. Sengbusch, 1876) auf S. 10 zu den Ausgaben von Joh. Christ. Aug. Heyse's Fremdwörterbuch neben der in Leipzig 1873 von Prof. Dr. Karl Böttger herausgegeben Auflage Folgendes: "… eine Berliner Ausgabe (von Dr. E. S. Freund), in denen die ethymologischen Angaben verkürzt oder ganz weggefallen sind." Der vollständige Titel des Fremdwörterbuches lautet: Joh. Christ. Aug. Heyse's Allgemeines verdeutschendes und erklärendes Fremdwörterbuch oder Handbuch zum Verstehen und Vermeiden der in unserer Sprache gebräuchlichen fremden Ausdrücke : mit der Bezeichnung der Aussprache, der Betonung und der Abstammung. Neue, mit zeitgemäßen Zusätzen versehene Berliner Ausgabe. Berlin : Cronbach, 1873. VII, 838 S.

 

Augenzeugenbericht von Jean Dufresne

1882 veröffentlichte Jean Dufresne seine Erinnerungen in dem Beitrag Das deutsche Schachspiel in der illustrierten Zeitung Über Land und Meer. Aus diesem Zeitungsartikel gebe ich nachfolgend einige interessante Beschreibungen in gekürzter und sprachlich leicht überarbeiteter Form wieder. Geburts- und Sterbedaten und einige Anmerkungen wurden vom mir nachträglich hinzugefügt:

Das deutsche Schachspiel

"Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts gehörte den Franzosen und Engländern der Ruhm der Schachmeisterschaft an. Mit dem Jahre 1851 trat ein im Ausland unerwarteter Umschwung ein, indem Deutschland, durch Adolf Anderssen im Londoner Weltturnier vertreten, sich mit den Siegeslorbeeren schmückte.

Das erste wertvolle deutsche Schachbuch, das auf der Höhe der theoretischen Ausbildung stand, ist erst im Jahre 1826 von Johann Allgaier in Wien erschienen. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde namentlich in den großen Städten, wenn auch viel, so doch recht mittelmäßig gespielt.

Wesentlichen Fortschritt veranlasste in den zwanziger und dreißiger Jahren der Einfluss des Berliner Meisters Mendheim (Julius Mendheim). Als Schachgelehrter und ausgezeichneter Praktiker entschied er durch guten Rat in einer Korrespondenzpartie zwischen Berlin und Breslau den Sieg zu Gunsten seiner Vaterstadt und veröffentlichte eine Sammlung trefflicher Originalprobleme.

Der lebhafteste Antrieb ging von Berlin aus, indem dort in den vierziger Jahren eine Anzahl hochbegabter Schachfreunde zusammentraf, welche in beständigen Wettkämpfen untereinander zur Meisterschaft sich ausbildeten. Es waren die Herren Leutnant v. Bilguer (Paul Rudolf von Bilguer), Legationssekretär v. Heydebrandt und der Lasa (Tassilo v. Heydebrand u. d. Lasa), die Assessoren Mayet (Carl Mayet) und Hanstein (Wilhelm Hanstein), Oberlehrer Dr. Bledow (Ludwig Bledow), die Maler Schorn (Karl Schorn) und Horwitz (Bernhard Horwitz). Da diese Schachfreunde vielfach an öffentlichen Orten spielten, sammelte sich um sie ein Kreis von Bewunderern und Nacheiferern.

Paul Rudolf von Bilguer - Berliner Schachgesellschaft
Paul Rudolf von Bilguer, 1815-1840

 

Tassilo von Heydebrand und der Lasa, 1818-1899
Tassilo von Heydebrand und der Lasa, 1818-1899

 

Carl Mayet, 1810-1868, Berliner Schachgesellschaft
Carl Mayet, 1810-1868

 


Wilhelm Hanstein, 1811-1850

 

Schachspieler Ludwig Bledow, 1795-1846 in Berlin
Ludwig Bledow, 1795-1846

 

Der Maler Karl Schorn, 1800-1850, nach einer Zeichnung von Carl von Piloty
Der Maler Karl Schorn, 1800-1850, nach einer Zeichnung von Carl von Piloty

 

Schachspieler Bernhard Horwitz, 1807-1885
Bernhard Horwitz, 1807-1885

Unter den Genannten hat sich das größte und bleibendste Verdienst der Leutnant v. Bilguer erworben, indem er den Plan der Herstellung eines musterhaften Lehrbuches mit wissenschaftlicher Gründlichkeit entwarf und mit Hilfe seiner Freunde v. Heydebrandt und Mayet zur Ausführung zu bringen begann. Bilguer kämpfte häufig ohne Ansicht des Brettes in der damals sehr bekannten Fuchs'schen Konditorei unter den Linden und erregte damit großes Aufsehen. Mit 25 Jahren starb er an Tuberkulose und auf dem Sterbebett versprach ihm sein Freund v. Heydebrandt die Vollendung des begonnenen Buches. Unter seiner Hand ist das v. Bilguer'sche Handbuch ein klassisches Werk geworden, wie keine andere Nation ein ähnliches aufzuweisen hat.

Von großer Bedeutung war demnächst der Einfluss des Oberlehrers Dr. Bledow, eines genialen Spielers, der als Präsident der Berliner Schachgesellschaft einen Kreis hervorragender Männer der Wissenschaft und Kunst, hochgestellter Staatsbeamten und angesehener Kaufleute um seine liebenswürdige Persönlichkeit zu vereinigen wusste. Er war es auch, der die Schachzeitung in Berlin ins Leben rief. In Folge dieser Veröffentlichung begann man nun auch im Ausland, namentlich in England, einen Blick auf die in Deutschland gespielten Partien zu werfen.

Anmerkung: Die Berliner Schachgesellschaft entwickelte sich bald zum führenden Verein in Deutschland. Daran beteiligt war eine Gruppe von sieben Schachmeistern, die sogenannten Plejaden, ein Siebengestirn mit Ludwig Bledow, Tassilo von Heydebrand und der Lasa, Paul Rudolf von Bilguer, Wilhelm Hanstein, Bernhard Horwitz, Carl Mayet und Karl Schorn als Begründer der Berliner Schachschule. Mit dem elitären Berliner Schachclub von 1803 (auch Schadows, oder Großer oder Alter Club genannt) bestand ein gutes Verhältnis. Der Club wurde von dem damals schon sehr bekannten Bildhauer Gottfried Schadow gegründet.

Schachmeister welche Berlin besuchten, wie der Livländer Kieseritzky (Lionel Kieseritzky) und der Ungar Szen (József Szén), fanden ebenbürtige Gegner vor. An der Herstellung des Blattes nahmen die erwähnten Meister lebhaften Anteil, indem jeder nach besten Kräften Beiträge lieferte. An Partien fehlte es nicht, wohl aber an geeigneten Aufgaben, wie mir Herr v. Heydebrandt erzählt hat; denn die Problemkunst, welche jetzt in Deutschland zu so hoher Vollkommenheit gelangt ist, war damals noch recht unausgebildet.

Das Zusammenleben jener Schachfreunde hatte nur kurze Dauer, indem teils ihr Lebensberuf sie nötigte, Berlin zu verlassen, teils auch der Tod ihre Reihen lichtete. Allein in Folge ihrer Einwirkung hatte sich in Berlin ein sehr reges Schachleben entwickelt. Die in Blüte stehende Schachgesellschaft hielt im Sommer ihre Sitzungen in den schattigen Anlagen des Blumengartens vor dem Potsdamer Tor ab, im Winter im Café Belvédère auf dem Opernplatz, wo auch außerhalb jener Gesellschaft eine freie Vereinigung von Schachspielern sich niedergelassen hatte, welche dort tägliche Zusammenkünfte hielt.

Als siebzehnjähriger Jüngling betrat ich im Jahre 1846 zum ersten Male das Café Belvédère. In Bezug auf meine Person muss ich bemerken, dass ich die Grundlagen von meinem Vater erlernt hatte, der ein persönlicher Freund Mendheims war. In seiner Bibliothek befanden sich deutsche und französische Philidorausgaben. Die berühmte Analyse blieb mir jedoch, obwohl ich sie bis auf die kleingedruckten, meistens die Bauernführung betreffenden Anmerkungen, rastlos und pietätvoll studierte, ein Buch mit sieben Siegeln, aus dem ich zu klarem Verständnis nicht zu gelangen vermochte. Ich wusste eben nicht, dass man, um zu würdigen, bereits Kenner des Spiels sein muss. Förderlicher war mir der Kalabrese Greco (Gioachino Greco, um 1600 in Kalabrien bis 1634) und Georg Walkers Anweisung, die von Schiereck ins Deutsche übersetzt wurde.

Anmerkung: Joseph Friedrich Schiereck (1790–1842) war Mathematiker, Erfinder einer Rechenmaschine (1829) und Übersetzer der Anweisung zum Schachspielen (1833).

Am meisten belehrte mich praktische Übung. Als ich erst in den eigentlichen Sinn und Zusammenhang der Kombinationen eingedrungen war, machte ich schnelle Fortschritte. Man erzählte mir, dass die wirklichen Kenner des Schachspiels im Café Belvédère verkehrten. Im Jahre 1846 also, als Primaner des grauen Klosters, entschloss ich mich während eines freien Nachmittags, dorthin zu gehen. Es fehlte mir nicht an feierlicher Stimmung, als ich die dem Schach geweihten Räume betrat, und mit ehrfurchtsvoller Scheu näherte ich mich den langen, hell erleuchteten Tischen, an welchen die Spieler kämpften. Bald fesselte mich nicht nur das Spiel, sondern noch mehr die Beobachtung der hier verkehrenden Schachoriginale. Hier saß ein Herr, trotz der großen Hitze des Zimmers in den Mantel gehüllt, das sorgenschwere Haupt auf den Ellenbogen gestützt, tief nachsinnend, unruhige Worte murmelnd, während der Gegner ungeduldig auf und ab ging. Dort machte ein anderer bei jedem Zuge eine humoristische, seine Stimmung kennzeichnende Bemerkung. Sein Partner dagegen, wie ich später erfuhr, ein berühmter Jurist, Vorsitzender der Justizexaminationskommission, war außer sich über die Fehler des eigenen Spiels und überhäufte sich selbst in lauten Ausrufen mit den schwersten Insulten.

Den freundlichsten Eindruck machte die Partie Grünbaum gegen Kossak (Ernst Kossak). Beide ausgezeichnete Musikkenner begleiteten ihre Züge mit dem Gesangsvortrag von bekannten Arien, welche der Situation des Spiels entsprachen. So wurde der Zuschauer Ohrenzeuge eines höchst ergötzlichen Potpourris.

Anmerkung: Johann Christoph Grünbaum (* 28. Oktober 1785 in Haslau, Böhmen; † 10. Januar 1870 in Berlin) war Opernsänger und siedelte 1832 mit seiner Frau Therese nach Berlin, wo er als Gesangslehrer und Übersetzer von Operntexten arbeitete. Grünbaum war Mitglied der Berliner Schachgesellschaft und insbesondere in den Jahren 1836 bis 1840 ein starker Schachspieler.

Johann Christoph Grünbaum in Berlin gestorben 1870
Johann Christoph Grünbaum Bildnis a. d. Enzyklopädie Wikipedia

Ernst Kossak, 1814-1880, Zeichnung von 1861
Ernst Kossak (1814-1880)

In der freien Vereinigung des Belvédère führte Professor Wolff, Lehrer der Malerei an der Akademie der Künste das Schachzepter. Er war ein bereits hochbejahrter Herr, der in seiner Jugend als Schüler des Malers David in Paris gelebt und sich dort große Stärke im Schachspiel erworben hatte, so dass er sich später in Berlin als ebenbürtiger Gegner mit Mendheim messen konnte.

Anmerkung: Professor Johann Eduard Wolff (27.11.1786 in Königsberg; 06.09.1868 in Berlin) war 1800 Schüler der Berliner Akademie, 1805 Schüler der Pariser Akademie bei Jacques-Louis David (1748–1825), danach seit 1818 in Berlin. Seit 1819 Mitglied der Akademie der Künste. Ab 1830 vergeblicher Versuch des Aufbaus einer beruflichen Existenz in Königsberg, ca. 1836 wieder zurück in Berlin (laut Thieme/Becker Allg. Lexikon der bildenden Künstler, Band 35/36).

Ich machte bei meinen ferneren Besuchen die Bekanntschaft dieses sehr jovialen und gesprächigen Meisters und wurde bald sein dauernder Gegner. Während einiger Monate gab er mir einen Springer vor und da er die Partie stets um einen Einsatz spielte, verlor ich anfangs regelmäßig mein Taschengeld. Bald aber wandte sich das Blatt, indem er häufig verlor und genötigt wurde, mit mir gleichauf zu spielen. Als wir aber auch dann mit abwechselndem Kriegsglück kämpften und die Waagschale sich zu meinen Gunsten zu neigen begann, erklärte er mir eines Tages lächelnd: "Sie sind jetzt eine zu ernste Partie für mich geworden. Suchen Sie gefälligst einen jüngeren Gegner auf!" Einen solchen fand ich in der Person des Leutnants v. d. Goltz (Alexander Ferdinand von der Goltz, 1819–1858) von der Kriegsschule, einem liebenswürdigen Offizier und Schachenthusiasten, der vorzüglich spielte. Mit ihm und seinem nicht minder begabten Freunde, dem Studiosus Müller (Richard Müller) aus Torgau, kämpfte ich längere Zeit fast täglich. Leutnant v. d. Goltz ließ eine Partie, die ich gegen ihn gewann, in der Berliner Schachzeitung abdrucken, wodurch ich schon als Gymnasiast in den Kreisen der Schachspieler bekannt zu werden anfing.

Als ich nach erledigtem Abiturientenexamen im Jahre 1848 eines Tages das Café Belvédère besuchte, traf ich zufällig dort den durchreisenden berühmten Schachspieler Daniel Harrwitz aus Breslau, der eben aus England zurückkehrte, wo er sich im Kampfe mit britischen Gegnern den Ruf hoher Meisterschaft erworben hatte. Er erwartete einer Verabredung mit dem Regierungsrat Hanstein. Da sein Gegner jedoch geraume Zeit ausblieb, forderte ich ihn auf, inzwischen mit mir zu spielen. Die Partie, die sich entwickelte, nahm einen merkwürdigen Verlauf. Es gelang mir, heftigen Angriff einzuleiten. Nach Durchführung einer starken Opferkombination hielt ich den schlesischen Meister für rettungslos verloren, als er plötzlich mittelst eines geistvoll ersonnenen Gegenopfers sich von der drohenden Gefahr nicht bloß zu befreien, sondern auch in wenigen Zügen den Sieg für sich zu erkämpfen schien. Dies war jedoch nur der äußere Anschein. Nach reiflicher Überlegung erkannte ich, dass die Widerlegung in einem Opfer der Dame bestand, welches mit voller Sicherheit die Niederlage meines Gegners herbeiführen musste. Ich machte den entscheidenden Zug, indem ich die Dame einstellte, und Harrwitz gab die Partie auf. Ich war während dieses Vorgangs zu sehr in den Verlauf des Spiels vertieft, um zu bemerken, was um mich her vorging. Als ich nunmehr aufblickte, sah ich unseren ursprünglich einsamen Tisch von zahlreichen, mir Beifall spendenden Zuschauern umgeben, und bemerkte unter diesen mit freudiger Überraschung den inzwischen eingetroffenen Regierungsrat Hanstein, der mir die Hand drückte und mich aufforderte, Mitglied der Schachgesellschaft zu werden.

Zum Berliner Schach-Club, der Berliner Schachgesellschaft und zum Café Belvédère siehe auch meine Seite Schachclubs und Schachcafés in Berlin

Jene Harrwitz-Partie wanderte durch alle Schachjournale, und Hanstein sowohl in der Berliner Schachzeitung, als auch Howard Staunton im Chess Player's Chronicle begleiteten sie mit mehreren für mich schmeichelhaften Bemerkungen. Während meiner nun folgenden Studienjahre spielte ich leider nur zu viel Schach, selbst als Mitglied der bewaffneten Studentenschaft, welche in jener bewegten Zeit öffentliche Sicherheitsdienste zu leisten hatte. Bald fand ich keinen mir gewachsenen Gegner. Selbst Karl Mayet, ein vorzüglicher und origineller Spieler, der erwähnte Mitarbeiter des v. Bilguer'schen Handbuchs, verlor gegen mich die Mehrzahl der Partien. Unter meinen Schachfreunden befand sich auch ein sehr geachteter und liebenswürdiger Kaufmann Eliasson, der von Breslau nach Berlin übergesiedelt war.

Anmerkung: Die Schreibweise Eliasson ist vermutlich nicht richtig (siehe Breslauer Namenbüchlein von 1843, Seite 277). In diesem Zusammenhang möchte ich Dr. Eliason in der Carlstr. 45 erwähnen, der 1851 Sekretär des Breslauer Schachclubs war und sich 1859 zu den Petersburger Schachfreunden gesellte.

Dieser erzählte mir häufig, dass in seiner Vaterstadt ein Meister Namens Anderssen lebe, den er für das größte Schachgenie halte. Die Ausdrücke seiner Bewunderung waren so überschwänglich, dass ich im Stillen glaubte, es sei ein wenig Lokalpatriotismus dabei im Spiele. Dennoch war ich sehr angenehm überrascht, als er mir eines Tages mitteilte, sei in Berlin eingetroffen und erwarte mich nachmittags im Blumengarten. Ich begab mich dorthin und sah zum ersten Male den merkwürdigen Mann, der unbedingt als die bedeutendste Schachpersönlichkeit des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnet werden muss.

Adolf Anderssen (geboren in Breslau am 6. Juli 1818) war zweiunddreißig Jahre alt. Sein Äußeres machte damals keinen bedeutenden Eindruck und entsprach recht dem Bilde eines Schulamtskandidaten, der er wirklich war. Ziemlich groß und mager, ging er etwas gebückt und hatte ein Alltagsgesicht mit unregelmäßigen, nichts weniger als schönen Zügen. Erst in späteren Jahren hat seine Erscheinung sich vorteilhaft umgewandelt, um ganz der Vorstellung zu entsprechen, die man sich wohl von einem großen Schachmeister macht. Haltung und Benehmen waren damals fast schüchtern und ein wenig befangen. Er redete mich freundlich in echt schlesischem Dialekt an und bald saßen wir einander gegenüber in eine schottische Partie vertieft.

Sein ganzes Auftreten war nicht geeignet, mir zu imponieren, ich spielte schnell und mit einiger Siegessicherheit. Als wir etwa zur Mitte gelangt waren, glaubte ich durch einen entscheidenden Zug mir sicheren Sieg zu verschaffen. Doch kaum hatte ich ihn gemacht, so bewies mir die Antwort meines Gegners, dass er denselben wohl erwartet, jedoch weiter gerechnet hatte als ich, und dass ich in eine Falle geraten war, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Ich verlor. Nunmehr steigerte ich meine Anstrengung. Vergebliches Mühen. Ich verlor auch die nächsten vier Partien und erkannte, dass ich meinen Meister gefunden hatte. Ich war sehr verstimmt und beschloss im Stillen, das Schachspiel ganz aufzugeben. Anderssens gütiger Zuspruch richtete mich jedoch bald wieder auf und während der nächsten Tage seines Aufenthalts in Berlin erzielte ich bessere Erfolge.

Adolf Anderssen, Schachspieler, Kupferstich um 1860
Adolf Anderssen, Kupferstich um 1860

Ungefähr um dieselbe Zeit beschlossen die britischen Schachspieler, dass im Verein mit der großen Londoner Weltausstellung ein internationales Schachturnier verbunden werden sollte, das erste Unternehmen dieser Art. Die wesentliche Anregung ging von Howard Staunton aus, der, nachdem er den Franzosen St. Amant (Pierre Saint-Amant) im Match geschlagen, als stärkster Schachspieler der Welt galt. Bedeutende Siegespreise wurden ausgesetzt und die Schachgesellschaften aller Nationen ersucht, ihre Vertreter zum Wettkampf nach London zu senden. Bei einem zweiten Besuch Anderssens in Berlin, der in den Sommer 1850 fiel, bestimmte die Berliner Schachgesellschaft, den Breslauer Meister mit dem Ehrenamte der Vertretung des deutschen Schachspiels bei jener denkwürdigen Gelegenheit zu betrauen. Während dieses Besuches und eines zweiten mehrmonatlichen im Jahre 1851, der bis zu seiner Abreise nach London dauerte, spielte ich täglich mit Anderssen, im Ganzen wohl gegen hundert Partien, von denen viele in Schachzeitungen abgedruckt worden sind. Ich erkannte allmählich, dass ein wesentlicher Teil seiner Überlegenheit auf seiner größeren Kenntnis der Theorie der offenen Spiele beruhte, und begann geschlossene zu wählen, welche der Untersuchung weniger zugänglich sind. Dies Verfahren war mir dienlich; denn am Schluss unserer Zusammenkünfte war es stets zweifelhaft, wenn wir spielten, wer von uns beiden gewinnen würde. Der Sieg schwankte hin und her.

Das Andenken an jene Schachperiode wird mir stets unvergesslich bleiben. Anderssen war unverwüstlich, spielte in bester Laune von früh bis spät. Da ich in Pankow, in der Nähe Berlins, wohnte, fuhr ich früh morgens um acht Uhr nach der Stadt, wo mich Anderssen in der Wohnung Eliassons erwartete. Er war ein sehr pünktlicher Mann und recht verdrießlich, wenn ich nicht um neun Uhr an Ort und Stelle mich befand. Ich war jedoch nicht der Erste, mit dem er kämpfte, denn vorher hatte sich stets schon Assessor Gubitz eingestellt, um einige Frühpartien in der Schnelligkeit zu verlieren.

Anmerkung: Dufresne meint sicherlich den Berliner Verleger, Schriftsteller und Kunstprofessor Friedrich Wilhelm Gubitz (1786–1870), Verfasser von "Talisman des Glücks oder Der Selbstlehrer für alle Karten- Schach- Billard- Ball- und Kegel-Spiele" 1816.

Wir spielten bis Mittag. Dann kamen nachmittags in der Schachgesellschaft andere Gegner an die Reihe, namentlich Karl Mayet, ferner der jugendliche Max Lange aus Magdeburg und Meister Ernst Falkbeer aus Wien, welche beide, um mit Anderssen zu spielen, sich nach Berlin begeben hatten.

Demnach hatte Anderssen, ehe er zum Turnier abreiste, durch Übung mit starken Gegnern seine Kraft erheblich gesteigert. Sein Sieg in London war ein glänzender, indem er unter 21 Partien, die er dort spielte, 14 gewann, 5 verlor und 2 remis machte. Die Rückkehr Anderssens war ein großer Triumphzug.

In den nachfolgenden Jahren wurde der deutsche Meister durch seine Berufstätigkeit als Professor am Friedrichsgymnasium in Breslau zu sehr in Anspruch genommen, als dass er sich auf der Höhe der Stärke im Schachspiel halten konnte. Nichtsdestoweniger beschloss er im Jahre 1858, als der jugendliche Amerikaner Paul Morphy sämtliche Gegner, die in England und Frankreich sich ihm entgegenstellten, geschlagen hatte und kurz vor seiner Abreise in Frankreich verweilte, den transatlantischen Schachheros zum Wettkampf herauszufordern. Als dieser einwilligte, eilte er in ritterlicher Aufwallung nach Paris. Die beiden Gegner kämpften um keinen andern Einsatz, als um ihren Ruhm. Der Ausgang des Zusammentreffens war für Anderssen ungünstig. Er erlitt die erste empfindliche Niederlage, indem er unter 11 Partien 7 verlor, 2 gewann und 2 remis machte. Die Zahl dieser Spiele ist jedoch zu gering, als dass man den Erfolg für einen ausreichenden Maßstab der gegenseitigen Spielstärke ansehen könnte; auch verdient hervorgehoben zu werden, dass die von Anderssen gewonnenen durch ihre Schönheit vor allen übrigen sich auszeichnen. Beide Gegner verkehrten freundschaftlich während des Kampfes und beschenkten sich beim Abschied in ritterlicher Art. Mehrfach, jedoch stets vergeblich, hat der deutsche Meister später Gelegenheit zu einem zweiten Zusammentreffen mit Morphy gesucht, der noch heute in krankem Zustande in New Orleans lebt.

Während der folgenden zwanzig Jahre zeigten sich Anderssens Charaktereigenschaften in schönstem Lichte. Sie bestanden in unerschütterlicher Tapferkeit und ruhigem Gleichmut. Im zweiten Londoner Schachturnier 1862 erhielt er abermals den ersten Preis, indem er gegen elf Mitkämpfer, unter denen sich Louis Paulsen und die damals noch jugendlichen Steinitz (Wilhelm Steinitz) und Blackburne (Joseph Henry Blackburne, 1841–1924), alle Partien mit Ausnahme einer gegen Owen (John Owen, 1827–1901, historische Elo-Zahl 2583) gewann. Im Match gegen Steinitz, das einige Jahre später ebenfalls in der Hauptstadt Englands um einigen Einsatz gespielt wurde, unterlag Anderssen, indem er 7 verlor und 5 gewann. Aber auch in diesem Falle gehören seine Gewinnpartien zu den schönsten, die je gespielt worden sind. Die Klippe, an der er häufig scheiterte, war zu große Kühnheit des Angriffs und Abneigung vor langweiligen Kombinationen, denen er selbst auf Unkosten der eigenen Sicherheit auszuweichen liebte.

Joseph Henry Blackburne, 1841 – 1924
Joseph Henry Blackburne, 1841 – 1924

In der Eigenschaft des ersten Siegers triumphierte er zuletzt in Baden-Baden 1870. Größere und geringere Erfolge sind ihm außerdem bis an sein Lebensende 1879 zu Teil geworden. Schließlich waren leidende Gesundheit und vorgerückte Jahre wohl im Stande, seine Ausdauer und Aufmerksamkeit abzuschwächen; aber die Schönheit, der Glanz und die Originalität seiner Spielweise blieben bis zu seinem letzten Auftreten im Pariser Schachturnier 1878 unverändert. Dabei ist wohl zu berücksichtigen, dass er nur seine Mußestunden für die Pflege des edlen Spiels verwenden konnte, da er der Lehrtätigkeit als Gymnasialprofessor in der rühmlichsten Art vorstand. Auch nahmen Leistungen auf mathematischem Gebiet, wegen derer die Universität Breslau ihn zum Ehrendoktor ernannte, seine Zeit nicht unerheblich in Anspruch.

Außer einer Sammlung ausgezeichneter Originalprobleme, die ganz den Geist seines praktischen Spiels widerspiegeln, hat Anderssen kein abgeschlossenes Schachwerk hinterlassen. Allein von größter Bedeutung war seine lebendige Lehre. Gleich den Philosophen des Altertums stets von lernbegierigen, ihn verehrenden Jüngern umgeben, die er zur Meisterschaft heranbildete, untersuchte er gemeinschaftlich mit ihnen die Theorie der Eröffnungen. Es gibt kaum eine, welche nicht durch seine Forschungen umgestaltet und verbessert worden wäre. Die schönsten Gambitspiele tragen für alle Zeiten die Spuren seiner genialen Hand. So hat er denn mehr geleistet, als alle modernen Autoren, welche mehr oder minder nur das vorhandene Material bearbeitet haben.

Von seinen ältesten Gegnern leben noch der erwähnte Horwitz, Autor klassischer Studien, ferner der preußische Gesandte v. Heydebrandt und Harrwitz, welche Herren sämtlich seit vielen Jahren nicht mehr öffentlich spielen. Dann folge ich selbst.

Nachdem ich im Jahre 1853 im Berliner Schachturnier, an welchem sich unter anderen die Herren Mayet, Lange und Professor Wolff beteiligten, den ersten Preis gewonnen, bildete sich bei mir die Überzeugung aus, dass ich, um auf der Höhe der Spielstärke zu bleiben, mehr Zeit für praktische Übung verwenden müsste, als meine Berufstätigkeit mir gestattete. Ich beschäftigte mich daher in meinen Mußestunden mit der Theorie und verfasste mehrere Werke, zu denen Anderssen Originalbeiträge geliefert hat. Sobald der Großmeister Berlin besuchte, spielte ich stets mit ihm und zwar zuletzt im Jahre 1868 im Hause des Herrn B. Marx in Gegenwart Zukertorts (Johannes Hermann Zukertort, 1842 bis 1888) und anderer Schachfreunde mit gutem Erfolge, indem ich unter 6 Partien, die in der Neuen Berliner Schachzeitung abgedruckt wurden, 3 gewann, 2 verlor und 1 remis machte.

Johannes Hermann Zukertort, 1842-1888, Schachspieler
Johannes Hermann Zukertort, 1842-1888

Mein nächster Altersgenosse ist der bekannte Schachautor Dr. Max Lange. Eine folgende Generation bilden Suhle (Berthold Suhle, 1837 bis 1904), Neumann (Gustav Richard Neumann, 1838 bis 1881), Mieses (Jacques Mieses 1865 bis 1954), Hirschfeld (Philipp Hirschfeld, 1840 bis 1896) und Schallopp (Emit Schallopp, 1843 bis 1919), von welchen nur noch Letzterer mit regem Eifer weiter kämpft. Die anderen haben sich vom Schachspiel zurückgezogen, und G. R. Neumann ist kürzlich nach vieljährigen Leiden verstorben. Die jüngsten Schüler Anderssens sind J. H. Zukertort, erster Sieger im Pariser Schachturnier von 1878, und der jugendliche Fritz Riemann (1859 bis 1932, historische Elo-Zahl 2632), der sich im Braunschweiger Turnier 1880 rühmlichst ausgezeichnet hat. Auch auf die Ausbildung anderer vorzüglicher deutscher Schachmeister, wie der Herren Johannes Minckwitz (1843 bis 1901), Dr. Constantin Schwede (1854 bis 1917), Martin (Max) Bier (1854 bis 1934), Wilfried Paulsen (1828 bis 1901) und des nur zu früh verstorbenen Professors Carl Göring (Carl Theodor Göring, 1841 bis 1879), hat Anderssens Einfluss erheblich eingewirkt.

Johannes Minckwitz, 1843 - 1901, Deutsche Schachzeitung

Anmerkung: Johannes Minckwitz,  (* 11. April 1843 in Leipzig; † 20. Mai 1901 in Wiesbaden-Biebrich) war ein deutscher Schachmeister, Schachkomponist und Schachpublizist und Sohn des gleichnamigen Schriftstellers Johannes Minckwitz (1812–1885). Nach einer kaufmännischen Laufbahn wandte er sich dem Schachspiel zu. Er erhielt Schachunterricht u. a. von Otto Wigand, Herrmann Hirschbach und studierte die Schachaufgaben in der Leipziger Illustrirten Zeitung. Für seine Schachkompositionen erhielt er mehrere Auszeichnungen. Er entwickelte sich zu einem starken Schachspieler und spielte gegen Adolf Anderssen und Louis Paulsen. Von 1865 bis 1876 und von 1879 bis 1886 war er Herausgeber der Deutschen Schachzeitung. Ab 1883 machte sich eine geistige Erkrankung bemerkbar. Später wurde er in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. In Not geraten, wurde er 1901 von einer Straßenbahn überfahren und starb.

Der bedeutendste und selbständigste deutsche Meister, der ihm während der letzten beiden Jahrzehnte seines Lebens entgegentrat, war Louis Paulsen (1833 bis 1891), der während mehrjährigen Aufenthalts in Amerika seine Spielstärke erwarb und bereits 1857 im Turnier zu New York den zweiten Siegespreis erkämpfte. Nach Europa zurückgekehrt, bewährte er sich in zahlreichen Wettkämpfen als ebenbürtiger Gegner Anderssens, indem er bei verschiedenen bedeutenden Gelegenheiten abwechselnd gegen ihn gewann und verlor. Aus dem Meisterturnier, das 1877 in Leipzig zur Anderssenfeier veranstaltet wurde, ging Louis Paulsen als erster und Anderssen als zweiter Sieger hervor. In dem hieran anschließenden Wettkampf beider Herren, ihrem letzten Zusammentreffen, siegte Louis Paulsen mit 5 gegen 3 Gewinnpartien.

Die Individualität beider ist grundverschieden. Man kann Anderssen als den großen Angreifer, Paulsen als den großen Verteidiger bezeichnen. Und wie im praktischen Spiel dieser Gegensatz sich kundgab, zeigte er sich auch in ihrer theoretischen Wirksamkeit. Während jener fast jede Eröffnung durch Auffindung geistvoller Angriffsmomente bereichert hat, ist von diesem nicht minder Bedeutendes für die Verteidigung geleistet worden.

Zu den deutschen Schachkoryphäen gehören auch die Österreicher Ernst Falkbeer (1819 bis 1885), der nach längerem Aufenthalt in England jetzt wiederum in Wien lebt, Baron Kolisch (Baron Ignaz von Kolisch, 1837 bis 1889), erster Sieger im Pariser Schachturnier 1867, und der seit vielen Jahren in London wohnende Wilhelm Steinitz, erster Sieger des Wiener Schachturniers von 1873. In Wien wird vorzüglich gespielt. Unter dem Vorsitz des Barons Albert v. Rothschild herrscht in der dortigen Schachgesellschaft reges Leben, und in der Mitte sind neuerdings bedeutende Talente, wie Adolf Schwarz (1836 Ungarn bis 1910 Wien), Bernhard Fleissig (Bernát Fleissig, 1853 Ungarn bis 1931 Wien) und Berthold Englisch (1851 bis 1897), herangereift. Hohen Rang als praktische Spieler nehmen auch der berühmte Problemkomponist Johann Berger (1845 bis 1933), sowie Alexander Wittek (1852 bis 1894) in Graz ein.

Mit Anderssens Ableben hat das deutsche Schachspiel, wie Herr v. Heydebrandt mir gegenüber sehr richtig bemerkt hat, sein Zentrum verloren. Er war der Bannerträger, um den sich alle deutschen Kämpfer scharten. Allein es ist unverkennbar, dass diese Lücke, wie jede irdische, sich schon wieder auszufüllen beginnt. Zur Belebung der Teilnahme für das scharfsinnigste aller Spiele hat die Begründung des deutschen Schachbundes im Jahre 1879 sehr erheblich beigetragen. Dieser bereits aus 75 Schachgesellschaften bestehende Verein, um dessen Organisation und Leitung der Generalsekretär desselben, Herr Zwanzig (Hermann Zwanzig, 1837 bis 1894) in Leipzig, sich große Verdienste erworben hat, veranstaltete im vorigen Jahre in Berlin seinen dritten Kongress, in dessen Meisterturnier der Engländer Blackburne den ersten, der Deutsche Zukertort den zweiten Siegespreis erkämpft haben. Die auf Grund dieses Ausganges in verschiedenen Zeitungen des Aus- und leider auch des Inlandes ausgesprochene Behauptung, dass das deutsche Schachspiel sich im Niedergange befinde, trägt schon deshalb das Gepräge der Unwahrheit an der Stirn, da ja kurz vor dem Turnier Blackburne von Zukertort in einem Weltaufsehen erregenden Match, das in London um den Einsatz von 100 Pfd. Sterling gespielt wurde, mit großer Überlegenheit geschlagen worden ist. Oder wäre man berechtigt, den in Deutschland geborenen, im Wesentlichen von Anderssen ausgebildeten Zukertort nicht mehr zu den Deutschen zu zählen, weil er seit einer Reihe von Jahren in England lebt? Auch bildet sich bei allen Schachkennern mehr und mehr die Überzeugung heraus, dass Wettkämpfe, in denen jeder mit jedem nur e i n e Partie spielt, wohl in ihrem Erfolg erweisen, wer bei der Gelegenheit am besten gespielt hat, nicht aber, wer überhaupt der Stärkste unter allen ist. Wenn namentlich, wie in Berlin, wochenlang täglich gekämpft wird, so dass sich der Teilnehmer während dieser Zeit in eine sogar nach der Uhr geregelte Schachmaschine verwandelt, muss auf den Ausgang nicht bloß die Begabung, welche im Grunde doch allein gemessen werden soll, sondern auch der Gesundheitszustand und das Lebensalter der Mitkämpfer sehr erheblich Einfluss ausüben. Diesem Umstande darf man es unter anderem wohl zuschreiben, dass Zukertort zwei Partien durch starke Versehen verloren und Louis Paulsen, der älteste Teilnehmer, sein großes Talent weniger als sonst zur Geltung gebracht hat.

Mit dieser Schlussbetrachtung will ich nur die Sachlage kennzeichnen, keineswegs die Siegeslorbeeren dem Engländer verkümmern, der während des ganzen Turniers, sowohl als der Anfang für ihn sich ungünstig gestaltete, als auch während des weiteren Verlaufs bis zu dem für ihn so ruhmvollen Schluss durch musterhafte Selbstbeherrschung und Bescheidenheit sich ausgezeichnet hat."

 

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Text, Zusammenstellung und Fotos von Elke Rehder, Juni 2018. Erweitert im Juli 2018

 

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