Schachclubs und Schachcafés in Berlin

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Der Schach-Club von 1803

1803 wurde der Schach-Club in Berlin, damals auch "Der große Schachklub" genannt, gegründet. Es war der erste deutsche Schachverein. Er bestand bis 1847. Der damals schon über Berlin hinaus bekannte Bildhauer Gottfried Schadow war einer der Gründungsmitglieder und daher wurde diese Schachvereinigung auch "Schadows Schachklub" genannt. Die Versammlungen zur geselligen Unterhaltung und zum Schachspiel fanden meist täglich statt, zuletzt in der Jägerstr. 73.

Schachspieler 1818 mit Mitgliedern des Schach-Club in Berlin

Das oben abgebildete Gemälde von Johann Erdmann Hummel (1769-1852) trägt den Titel Die Schachpartie. Es ist um 1818 entstanden. Der Maler selbst hat sich stehend vor dem Fenster dargestellt. Der Archäologe Aloys Hirt (1759-1837) und der Maler Friedrich Bury (1763-1823) sitzen sich gegenüber am Schachbrett. Gespielt wurde im Palais Voss in der Wilhelmstraße. Links steht der Architekt Hans Christian Genelli (1763-1823) mit einer Pfeife in der Hand. Hinten am Tisch und auf das Schachbrett starrt Gustav Adolf Wilhelm von Ingenheim (1789-1855), ein Sohn von König Friedrich Wilhlem II. von Preußen. Rechts in Uniform zeigt Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg (1792-1850), der ebenfalls ein Sohn von König Friedrich Wilhelm II. war. Hummel, Hirt, Bury und Genelli waren Mitglieder des 1803 gegründeten Schach-Clubs.

 

Die Berliner Schachgesellschaft

1827 wurde die Berliner Schachgesellschaft gegründet und der Schach-Club von 1803 wurde zur besseren Unterscheidung auch als "Alter Club" bezeichnet.  Die folgenden sieben Gründungsmitglieder der Schachgesellschaft werden in der Schachliteratur als die Plejaden oder das Berliner Siebengestirn bezeichnet. Ludwig Bledow (1795-1846), Karl Schorn (1800-1850), Bernhard Horwitz (1808-1885), Carl Mayet (1810-1868), Wilhelm Hanstein (1811-1850), Paul Rudolf von Bilguer (1815-1840) und Tassilo von Heydebrand und der Lasa (1818-1899) formten die sogenannte "Berliner Schule".

Die Schachspieler versammelten sich zweimal wöchentlich. Im Sommer bevorzugte man den Moewes'schen Blumengarten. Das Gartenlokal lag vor dem neuen von Karl Friedrich Schinkel erbauten Potsdamer Tor (heute Leipziger Platz) und bestand bis 1854. Vermutlich war der Blumengarten nach dem Berliner Kunstgärtner Friedrich Moewes benannt. Im Winter traf man sich im Café Belvédère. Das Kaffeehaus lag am Opernplatz hinter der Katholischen Kirche Nr. 3.

In der ersten Zeit spielten Julius Mendheim (etwa 1781-1836), der Maler Professor Johann Eduard Wolff (27.11.1786 in Königsberg; 06.09.1868 in Berlin), der Major Carl Eduard von Carisien (17.05.1788 in Berlin; 18.01.1847 ebenda) und andere starke Spieler im Sommer bei gutem Wetter bei Georges im Tiergarten, wo Mendheim seine erfindungsreichen Endspiele entwickeln konnte.  Bei schlechtem Wetter und in der Winterzeit traf man sich in der Nähe des Berliner Stadtschlosses im Café Volpi bzw. Volpische Konditorei (An der Stechbahn Nr. 2), welches von einer Schweizer Familie betrieben wurde. Hier verkehrte ein gehobenes Publikum. Bei Volpi  konnte man auch das französische Billard und Boule spielen.
 

Berlin Stechbahn am Schlossplatz um 1830
Neue Stechbahn am Schlossplatz, um 1830. Der Eingang zum Café Volpi war rechts neben dem Wechselhandel. Stahlstich nach einer Zeichnung von Johann Heinrich Hintze.

Verzeichnis der Mitglieder der Berliner Schachgesellschaft (1849)

A. Ordentliche: Bendix, Bode, Coqui, Dr. Dietrich, v. Dossow, Eliason, Franz, Gubitz, Greulich, Grünbaum, Häusler, Heidemann, v. Herrmensdorff, Dr. Hirsch, Hirschfeld, Kämpf, Köhler, Kummer, Lehfeldt, Lehnhoff, Leo, Leow, Nathan, Nicolas, Dr. Neander, v. Oppen, Dr. Ribbeck, Riess, v. Schaper, Schultz, Schulze, Scheidemantel, v. Siedmogrodzki, v. Salpius, Schneider, Wetzel, Winkelmann, Dr. Wittstock, Wolff.

B. Außerordentliche: v. d. Goltz in Koblenz, v. Hannecken in Koblenz, v. Heydebrand u. v. Lasa in Stockholm, Hanstein in Magdeburg, Horwitz in London, v. d. Horst in Königsberg i. P., Mayet in Swinemünde, Schorn in München.

 

Tassilo von Heydebrand und der Lasa - Berliner Schachgesellschaft
Tassilo von Heydebrand und der Lasa
 

Berliner Schach-Erinnerungen von Tassilo von Heydebrand und der Lasa

1837 - Tassilo von Heydebrand und der Lasa berichtet in seinen Berliner Schach-Erinnerungen nebst den Spielen des Greco und Lucena. Leipzig, Veit und Comp 1859 auf Seite 18 zu den Besuchen im Schachcafé und über den Maler und Schachspieler Karl Schorn:

"Im Sommer des Jahres 1837 führte mich Bledow im Blumengarten ein und machte mich im Herbst mit Bilguer bekannt, der sich damals auf unserer militärischen Universität, der Kriegsschule, befand. Das Ergebnis dieser neuen Bekanntschaft, die sich schnell zu intimer Freundschaft gestaltete, war ein gleich günstiges für das Spiel wie für die Theorie. Zahlreiche Partien wurden damals zwischen uns und mit Mayet, Bledow und Horwitz, sowie, namentlich in einem Kaffeehause in der Königsstadt, mit dem neu hinzugetretenen eifrigen Naturalisten Schorn aus Düsseldorf gespielt. Letzterer, obgleich ein großer Verächter jeder Wissenschaft im Schach, war doch ein sehr gewandter und ausgezeichneter Spieler. In dem erwähnten Kaffeehause wurden zuerst durch Bledow strengere Regeln, als bisher im Blumengarten üblich gewesen, eingeführt. Ein berührtes Stück musste fortan gespielt werden, während früher nur das Loslassen den Zug vollendete, das Berühren aber und selbst das Herumziehen einer Figur, solange man diese festhielt, noch keine Folgen bedingte. Die jüngere Generation nahm die strengere Norm willig an, ging aber in einem andern, das Wesen des Schachs selbst berührenden Punkte über die Ansichten Bledow's hinaus. Dieser hielt nämlich mit der Mehrzahl unserer Landsleute dafür, dass aus dem Bauer auf dem letzten Felde nur ein bereits geschlagenes Stück werden könne. Schorn, welcher früher viel in Paris, obgleich dort nicht mit den ersten Spielern gespielt hatte, drang hingegen auf die Annahme der in Frankreich üblichen, allgemeineren Umwandlung, ohne Rücksicht darauf, ob der zu wählende Stein noch im Spiele sei oder nicht. Bilguer pflichtete ihm bei und gewann allmählich für die freiere Regel so viele Anhänger, dass Bledow sich im Laufe der Zeit genötigt sah, sich derselben ebenfalls anzuschließen. Er schlug dann selbst für das erneute Statut der Gesellschaft die heut darin stehende verallgemeinerte Fassung des betreffenden Paragraphen über das Avancement der Bauern vor. Durch Bilguer's Handbuch und Silberschmidt's Werk von 1845 ist die erweiterte Regel zur Anerkennung in Deutschland gelangt. Es wäre zwar gewiss hierbei manchem historischen Forscher noch empfehlenswerter erschienen, wenn man bestimmt hätte, dass jeder Bauer immer, wie dies nach uralter Sitte immer der Fall war, zu einer neuen Königin werden musste und nie sich in einen Springer, Läufer oder Turm verwandeln dürfte. Der Versuch, eine solche an sich gute Bestimmung in Aufnahme zu bringen, hätte uns aber von dem wünschbaren Ziele, die deutschen Regeln, wie es jetzt geschehen ist, gänzlich mit denen Frankreichs und Englands in Übereinstimmung zu bringen, fern gehalten.

 

Ernst Kossak, 1814-1880, Zeichnung von 1861
Ernst Kossak, 1814-1880, Zeichnung von 1861

Ernst Kossak über den Schachspieler Karl Schorn
1850 erinnert sich der Schriftsteller, Journalist und Schachspieler Ernst Kossak (1814-1880) in der Dezemberausgabe der Berliner Schachzeitung in seinem Nachruf auf den Kunstmaler und Schachspieler Karl Schorn, der zum "Berliner Siebengestirn" zählte. Nachfolgend gebe ich hier einen Auszug aus dem Nekrolog wieder.

Kossak schreibt: "Wenn man im Jahre 1837 zur Nachmittagszeit etwa um zwei Uhr, sich in das Kaffeehaus von Rosch in der Königsstraße und zwar in das Hinterzimmer begab, so währte es nicht lange, und es trat ein großer hagerer Mann herein, im Anfange der dreißiger Jahre und von eleganter aber einfacher Kleidung. Er stützte sich auf einen Rohrstock, weil er ein wenig lahm war und hing dann mit vieler Ruhe seinen Hut an den Nagel, schälte sich auch wohl im Winter mit hoher Behaglichkeit aus einem unermesslich langen Surtout. Hierauf brachte ihm ein froh lächelnder Kellner eine lange, sehr lange Tabakspfeife, fast anzusehen wie eine Lanze und unser Mann steckte sie mit sanfter Langsamkeit an, aber nie, ohne den Fidibus brennend zur Erde zu werfen, ihn dann auszutreten und "Ah - Pardon!" zu sagen, auch wenn keine Gefahr dabei war, jemand in Brand zu stecken. Dieser Mann war Karl Schorn, der treffliche Meister der Malerei, der Winter und Sommer hierher kam, seine Partie Schach zu spielen.

Niemand sagte ihm guten Tag, wenn er eintrat, denn er dankte kaum wieder, aber er blies allen mit dem langen Weichselrohr einen freundlichen Gruß zu und wenn der lange blasse Mann sich nun gesetzt hatte, der dampfende Kaffee neben ihm stand und die Siebenmeilenbeine gehörig untergebracht waren, befand sich die Gesellschaft in einer fröhlichen Stimmung, denn der leibhaftige Humor war mitten unter ihnen, in der Gestalt: Karl Schorn's.

Am liebsten pflanzte er sich bei den schlechtesten Spielern auf, wie ein großer Arzt sich mit lebensgefährlich Leidenden vorzugsweise gern beschäftigt und ängstigte diese Stümper, jetzt durch ein bedenkliches mysteriöses Stillschweigen, jetzt durch laut geäußerte Besorgnisse über ihre Züge: Alles mit fast tragischem Ernst. Befanden sie sich dann in einem Zustande der tiefsten Besinnungslosigkeit, so ließ er sich zu Ratschlägen Ahitophel's herab, erzählte Geschichten von Partien, die scheinbar rettungslos verloren, oft noch durch einen längeren Marsch des Königs gerettet worden waren und tröstete endlich den Unterliegenden mit Sprüchen in Mönchslatein oder aus Cicero.

Nachdem er alles getan, sich und sein Schachspiel in den Augen dieser Herren herabzusetzen, ließ er sich unter lebhaften ironischen Äußerungen von Angst endlich bewegen, mit dem Sieger eine Partie zu spielen, der natürlich nicht verfehlte, die ersten Züge nach Allgaier, dem damaligen Katechismus, in optima forma, kunstgerecht zu ziehen.

Gegen diese edlen Reminiszenzen beeilte Schorn sich sofort, mehrere Gegenzüge zu tun, die auch die beste Theorie perplex zu machen geeignet waren. Züge, die noch nicht gedruckt und im Schach das waren, was eine gewisse Sorte von Hieben in der Fechtkunst ist. Hierdurch verleitete er seinen ehrenwerten Herrn Gegner zu Kraftentwickelungen und komprimittierenden Angriffen, die ihn selber in die Enge trieben. Plötzlich wandte sich das Blatt. Schorn stopfte eine frische Pfeife, während er der feindlichen Stellung eine Lobrede hielt, die stets ihre Leichenrede wurde und wickelte sich aus der "Emballage", wie er das nannte, langsam und sicher los, um seinen Gegner durch beleidigende Abzüge, beißende Doppelschachs, hoffnungslos erachtet und doch zur Dame gebrachte Bauern, unter dem Joch durchzuschicken.

Er war durch und durch ein Humorist im Schachspiel. Hatte er dann gesiegt, tröstete er seinen Gegner auf eine zerschmetternde Weise, indem er gegen die Schachtheorie und das Studium derselben loszog, diejenigen als Toren und Leichtsinnige darstellte, welche in ihren grauen Falten kauerten, statt von des "lebenden Spieles" goldenem Baume zu pflücken und gar oft so weit ging, Bledow und Bilguer als Zeugen anzurufen, die gutmütig dem Schalke stets Recht gaben.

Und doch konnte keiner in seinem Spiele sich einer feineren Benutzung der Lehrsätze des Schach rühmen. Schorn hatte allerdings nicht aus Büchern, aber dafür aus dem Spiel gegen Meister mit scharfem Geiste sich die eleganteste Taktik zu eigen gemacht. Eigensinnig wie er war, verschmähte er doch die Empirie der Eröffnungen und suchte mit Vorliebe exzentrische Positionen, die er mit Klarheit beurteilte und mit Genialität benutzte. Unseren besten Spielern hat er dergestalt viel Kopfzerbrechen gekostet, ihnen manche schöne Partie abgenommen; aber im Ganzen musste seine Manier gegen eine korrekte Methode den Kürzeren ziehen.

Er wollte, dass unser Spiel nur Kunst sein solle. Hartnäckig wehrte er sich dagegen, dass vieles darin sich auf die Basis einer unumstößlichen Wissenschaft stützen müsse und eigene üble Erfahrung konnte ihn nie dahin bringen, anzuerkennen, dass noch ein anderes als geflügelte Improvisation auf den 64 Feldern siegen müsse."


1864 berichtet die Neue Berliner Schachzeitung, dass sich der Berliner akademische Schachclub Dienstag und Freitag Abends im Café Hänseler am Werderschen Markt Nr. 1 versammelt. Es sind gegenwärtig nur 15 Mitglieder, doch der Club hat starke Spieler aufzuweisen. Der Präsident des Clubs ist Herr stud. phil. Schallopp. 1867 erfolgte die Meldung, das dieser Schachclub nicht mehr besteht und ein neuer akademischer Schachclub gegründet wurde, welcher nun im Café Haenssgen, Unter den Linden 20, seine Sitzungen hält.

 

Gustav Richard Neumann berichtet über das Schachcafé Belvédère

1866 beschreibt Gustav Richard Neumann (1838-1881), der Herausgeber der Neuen Berliner Schachzeitung, seinen Besuch im Schachcafé unter der Überschrift

Ein Nachmittagsbesuch im Café Belvédère

"Die Berliner Schachgesellschaft hat ihr bisheriges Winterlokal, das Café Belvédère neben dem Opernhause, verlassen und das Café Bavière auf der Französischen Straße für die hoffentlich nicht mehr lange Wintersaison zum Versammlungsorte gewählt.

Ehe wir das Café Belvédère, in dem gewiss sämtliche Berliner Meister älterer und neuer Zeit und verschiedene auswärtige Heroen, wie Anderssen, Kolisch, Paulsen, Petroff, de Rivière etc. gekämpft haben, vielleicht für immer verlassen, wollen wir ihm noch einen Besuch abstatten. Es ist freilich erst 2 Uhr nachmittags; aber unser Freund, mit dem wir soeben das Museum besahen, drängt uns mit der Bitte, über einer Partie Schach das sehr unfreundliche Märzwetter zu vergessen. Wir lenken daher in die kurze, noch blätterlose Allee ein, welche von den Linden zu dem historisch gewordenen Sammelplatze der Berliner Schachspieler führt, ohne jedoch unsere Abneigung gegen den Geruch aus dem Kanale linker Hand, zu dessen Überbrückung man noch nicht gelangt ist, unterdrücken zu können. Dicht vor den bescheidenen Gartenanlagen, die sich am Eingange des Cafés befinden, eilt eine kleine gebückte Gestalt, in der wir einen der schachspielenden Stammgäste des Belvédère erkennen, uns voraus und überhebt uns der Mühe, die Türe des Lokals zu öffnen.

Wir treten ein. An den Tischen der linken Seite des großen Saales sind bereits mehrere Schachpartien im Gange und von Lernbegierigen umlagert. An den beiden Billardtischen rechter Hand üben einige Herren das gymnastische Spiel, während die dahinter an der Wand stehende lange Bank von Zuschauern in ununterbrochener Reihenfolge besetzt ist. Durch die beiden Türen im Hintergrunde sehen wir in mehrere Zimmer, deren größtes an zwei Abenden in der Woche (dienstags und freitags) der Berliner Schachgesellschaft ausschließlich zur Verfügung stand.

Das Kommen und Gehen der Gäste, die ungenierte Unterhaltung vieler Personen im Hauptsaal und in den Nebenzimmern, das Zusammenschlagen der Billardkugeln und das Klirren der Kaffeetassen, am Buffet an der linken Wand, denen ein Kellner eben die Löffel zuteilt, verursacht ein nicht eben sanftes Geräusch: als plötzlich von einem Tische der Schachspieler her eine selbst bis in die Nebenzimmer deutlich vernehmbare Stimme sich erhebt: "Seh'n Sie, seh'n Sie, er nimmt einen Zug zurück!"

Diese laute Anklage, durch welche ein im Belvédère sehr bekannter Stammgast seine Anwesenheit verriet, erregte zwar Aufmerksamkeit, aber nichts weniger als Entrüstung. Die umsitzenden Schachspieler blickten von ihren Brettern auf und lachten; die Kellner am Büffet steckten die Köpfe zusammen und lachten; die Zuschauer auf der langen Bank längs der Billardtische streckten den Hals oder hoben sich etwas von ihrem Sitze, um besser die Schachtische zu sehen und lachten; einer der Billardspieler, der eben einen Ball machen wollte, zog das Queue zurück und lachte; und der dicke Herr, der an einem der entferntesten Fenster in eine Zeitung vertieft zu sein schien, lachte, dass sich das Blatt in seinen Händen in großem Bogen auf und nieder bewegte.

Eine Menge Personen, selbst aus den Nebenzimmern, traten mit uns an den Tisch, von dem die Losung der allgemeinen Heiterkeit erschallt war. Auch für einen Fremden wäre es nicht schwer gewesen, zu unterscheiden, wer von den beiden Schachspielern der Kläger und wer der Angeklagte sei. Ersterer, ein kleiner hagerer Mann von etwa fünfzig Jahren, hatte etwas eigentümlich Komisches, das durch die strenge Miene, die er jetzt annahm, nur noch mehr gehoben wurde; der Letztere, etwas größer und jünger, zeigte die sichtbarste Verlegenheit und entgegnete jetzt mit beleidigter Stimme: "Ich habe Ihnen auch schon Züge zurückgegeben!" "Was, in dieser Partie?" "Nein, aber in andern Partien!" "Seh'n Sie, meine Herrn, nur in andern Partien hat er mir Züge zurückgegeben" - Die Umstehenden erhoben ein schallendes Gelächter. "- und ich soll ihm in dieser Partie einen Zug zurückgeben!" Während sich das Gelächter der Zuschauer wiederholte, sah der kleine Hagere mit einem Blicke, der vernichtend sein sollte, auf seinen Gegner, welcher in steigender Verwirrung endlich einen Stein bewegte. "Komm her mein Sohn, du sollst es guthaben!" rief der Unerbittliche und nahm hastig den eingestellten Offizier vom Brette. Sein Partner empfand jetzt Reue, dass er nachgegeben hatte, und sagte: "Nein, wenn Sie mir den Zug nicht zurückgeben, spiele ich nicht mehr mit Ihnen!" "Nun, dann lassen Sie es bleiben!" war die lakonische Antwort. Die Drohung des Besiegten war nicht ernst gemeint. Es folgte ein kurzer, ergötzlicher Streit, der mit dem wahrscheinlich schon öfter geschlossenen Pakte endigte, dass keiner der beiden Spieler weder Züge zurückgeben, noch Züge zurücknehmen wolle. Die Figuren wurden zu einer neuen Partie aufgestellt und die Versammlung ging lachend auseinander.

Wir selbst traten an das Buffet und verlangten von einem Kellner ein Schachspiel. "Tut mir leid, meine Herren," entgegnete dieser, "die Spiele sind Privateigentum." Dabei deutete er mit der Hand auf ein Fach, in dem verschiedene Bretter und mit starken Schnüren zugebundene Figurenkasten standen. Auf unsere Andeutung, dass wir Mitglieder der Berliner Schachgesellschaft seien, und ein Spiel derselben wünschten, erhielten wir den Bescheid, dass der Kellner, der die Schlüssel zu dem Schranke derselben habe, gerade nicht anwesend sei. Wir setzten uns deshalb an den nächsten Tisch, an dem Schach gespielt wurde, um einstweilen als Zuschauer daran teil zu nehmen. Das erste, was uns auffiel, waren die mit weißer und brennend roter Ölfarbe angestrichenen Figuren und ein dazu gehöriger Kasten, der ein eisernes Vorhängeschloss hatte. Die Partie, die eben begann, wurde mit großer Vorsicht eröffnet. Zuerst zogen beide Spieler die Königsbauern zwei Schritt, dann die Damenbauern und sämtliche vier Turmbauern einen Schritt und nun die Springer auf das dritte Feld der entsprechenden Läufer. Überhaupt zeigten sie offenbar weniger die Absicht, einander viel zu tun, als vielmehr für ihre eigene Deckung zu sorgen. Dieser Plan wurde immer sorgfältiger beobachtet, je verwickelter die Partie wurde. Die große Gemütlichkeit, mit der dieses Spielerpaar verfuhr, zeigte sich am auffallendsten, als der Eine mit einem Springer König, Dame und einen Turm des Andern zugleich angriff. Dieser zog darauf unbekümmert um das Schach seine Dame so, dass er den Springer nehmen konnte, wenn er seinen Turm schlug. Sein Gegner schien dies auch für sehr verständig zu halten: er nahm, ohne ein Wort zu sagen, den Turm und ließ sich seinen Springer schlagen. Endlich wurde nach häufig schwankendem Glücke die Partie zu Gunsten des einen Spielers entschieden und eine andere in Angriff genommen. Die Figuren und der Anzug wechselte dabei. Sonst wurde sie ganz so wie die vorige eröffnet; höchstens gestatteten sich die Spieler eine andere Reihenfolge der Züge, worauf es übrigens, wie wir die geehrten Leser versichern können, auch wenig ankam.

"Geben Sie sich zufrieden, Herr B., die Partie ist remis" erscholl es am Nachbartische. Wir wandten uns um. Zwei im Belvédère ebenfalls sehr bekannte Herren von gesetztem Alter, hatten zwischen sich ein Brett, auf dem außer den beiden Königen jederseits noch ein Läufer und ein Bauer stand. Die Bauern waren gegeneinander gezogen und jeder von seinem Läufer, der unmittelbar daran stand, gedeckt. Da wir unsern geehrten Lesern jede interessante Position aufzeichnen, so wollen wir es auch mit dieser tun. Hier ist sie:

Gustav Richard Neumann im Berliner Schachcafé Belvedere

Ein Zuschauer, der eben zur Versöhnung gemahnt hatte, schien vor wenigen Zügen, die wahrscheinlich nur mit den Königen gemacht worden waren, hinzugetreten zu sein. Ich wollte die Partie auch remis geben", entgegnete der Angeredete, "aber Herr L. wollte nicht." "Freilich ist die Partie remis," sagte Herr L. "nun, einige Züge kann man doch machen, aber nur nicht so viele, als der macht!" Dabei zeigte er auf seinen Gegner. Obgleich uns die Logik des Herrn L. sehr sonderbar erschien, so erwiderte Herr B. jedoch kein Wort, sondern setzte schweigend die Figuren zu einer neuen Partie auf.

Herrn B. und Herrn L. kann oder konnte man täglich im Belvédère Schach spielen sehen und zwar nur unter sich. Sie scheinen füreinander geschaffen zu sein. Einst waren wir jedoch Zeuge, wie sich die beiden Freunde beim Spiele entzweiten. Der eine erklärte nämlich allen Ernstes seine Partie für verloren. Der andere dagegen glaubte ganz das nämliche von sich und nannte deshalb seinen Gegner einen faulen "Satyriker". – Am nächsten Nachmittage war es zerbrechend zu sehen, wie Herr L. trauernd an seinem gewöhnlichen Platze vor einem leeren Schachbrette saß, während Herr B. weit abseits wiederholt mit sehnsüchtigen Blicken nach seinem täglichen Gegner schaute. Wir trösteten uns mit der Hoffnung, dass diese Feindschaft nicht lange dauern könne; und wirklich am dritten Tage spielten sie wieder eine Partie. Die Versöhnung muss rührend gewesen sein.

Endlich kommt ein Kellner und bringt uns Brett und Figuren. Wir setzen uns in eine Ecke, um ungestört zu sein. Die Partie währt dieses Mal länger als gewöhnlich. Wir spielen bereits bei Abendbeleuchtung. Jetzt ist sie zu Ende und wir bereiten uns zum Aufbruche vor. Die Schachtische haben unterdessen ein anderes Aussehen bekommen. Vor großen Brettern mit schönen Figuren sitzen Meister. Da spielen Knorre und Goehle, v. Guretzky und Lindner, Schallopp und Pomtow, Kähler und Arans. Mit andächtigem Schweigen blicken wir einzelne Zuschauer auf die trefflichen Züge. Unser Gruß wird mit freundlichem Kopfnicken erwidert und wir verlassen das Lokal.

Über den Verfasser G. R. Neumann siehe den Beitrag von Michael Negele auf der Seite des DSB https://www.schachbund.de/news/gustav-richard-ludwig-neumann.html

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1867 zieht Hermann Zukertort von Breslau nach Berlin. Er ist der Redakteur der Neuen Berliner Schachzeitung im Julius Springer Verlag. Sein bevorzugtes Schachcafé ist die Konditorei J. Jacoby in der Potsdamerstraße 20. 1869 erschien dort im Verlag von Julius Springer sein Buch Sammlung der auserlesensten Schach-Aufgaben, Studien und Partiestellungen. Mit besonderer Berücksichtigung sämmtlicher Problemturniere.

Bitte lesen Sie auch den Bericht des Berliner Schachmeisters Jean Dufresne auf meiner Seite Jean Dufresne und die Schachmeister

 

Schauen Sie bitte auch meine Seite Frühe Schachclubs und Schachcafés in Deutschland

 

und meine Seite Zur Geschichte der Schachcafés

 

und meine Seite Das Schachspiel im Café de la Régence in Paris

 

Text, Zusammenstellung und Fotos von Elke Rehder, im Juni 2018

 

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